Blutegeltherapie
Ich kann nicht sagen, dass mich Blutegel schon immer fasziniert hätten. In meiner Jugendzeit habe ich mich vor Blutegeln noch sehr geekelt. Wenn ich sie im Uferbereich von Seen sah, habe ich mich beeilt, um schnell in tieferes Wasser zu kommen. Wahrscheinlich hätte ich auch einen leichten hysterischen Anfall bekommen, wenn sich ein Egel bei mir festgesaugt hätte. Der damalige Ekel ist aber einer absoluten Begeisterung für die nützlichen Tierchen gewichen. Heute setze ich sie mir sogar selber an und finde sie inzwischen regelrecht ästhetisch.
Da Blutegel sehr sauberes Wasser benötigen, findet man sie heute bei uns kaum noch. Die mitteleuropäischen Blutegel sind fast ausgestorben und deshalb streng geschützt. Für die Therapie bestellt man sie heute in speziellen Zuchtbetrieben.
Wirkungsweise
Da es immer noch zu wenige Studien gibt, gehört dieses Therapieverfahren zu dem Bereich der Erfahrungsheilkunde. Trotzdem erfreut sich in der letzten Zeit diese Therapieform einer immer größeren Beliebtheit bei den Patienten. Dies wurde dann noch deutlich gefördert durch einen Bericht am 24.02.11 in der Sendung „Hauptsache Gesund“ im MDR zur Behandlung von Arthrosen mit Blutegeln und den bisherigen Erfolgen. In der Schulmedizin sind dazu einige Studien in Arbeit.
Die Blutegeltherapie ist schon sehr alt und gehört zu den „aus- und ableitenden Verfahren“. Bei dem Saugvorgang kommt es pro Blutegel zu 5 bis 10 ml Blutverlust. Der Blutverlust soll eine (einem Aderlass entsprechende) entstauende, entzündungshemmende und blutverdünnende Wirkung haben, Stoffwechselschlacken und Körpergifte sollen ausgeleitet werden, der Lymphstrom beschleunigt werden, damit insgesamt die Selbstheilungskräfte des Körpers gefördert werden.
Entscheidend für die Wirkung ist der Speichel, der bei dem Saugvorgang vom Egel abgegeben wird. Man vermutet im Blutegelspeichel mehr als 100 verschiedene Substanzen, von denen heute nur knapp 25 bekannt und erforscht sein sollen. Die bekanntesten Bestandteile sind Hirudin, Calin, Eglin und Hyaluronidas. Zusammen mit den anderen Stoffen wird diesen Bestandteilen eine gerinnungshemmende, gefäßkrampflösende, lymphstrombeschleunigende, immunisierende und antibiotische Wirkung nachgesagt. Somit ist der Speichel also entzündungshemmend, verbessert die Fließfähigkeit des Blutes, und regt den Stoffwechsel und das Immunsystem an. Einige Bestandteile werden heute schon gentechnisch hergestellt. Trotzdem können sie den Blutegel nicht ersetzen, denn die Wirkung ergibt sich wohl erst durch das Zusammenwirken all seiner Substanzen.
Einsatzgebiete
Zu mir in der Praxis kommen Menschen zur Blutegeltherapie mit ganz unterschiedlichen Beschwerden. Neben anderen begleitenden Maßnahmen setze ich Blutegel ein, z.B. zur Schmerzlinderung bei Nervenschmerzen, Polyneuropathien, Arthritis, Wirbelsäulenbeschwerden, Zerrungen, Verstauchungen oder Narbenbeschwerden. Wegen der besseren Durchblutung bei starken und schmerzhaften muskulären Verspannungen, bei schmerzhafter Arthrose (darüber gibt es inzwischen auch eine Studie), Krampfadern, Besenreisern, Migräne, Bluthochdruck, Tinnitus und bei verschiedenen Stauungen im Körper, wie z.B. Lymphstau, Regelschmerzen oder Pfortaderstau.
Es gibt aber noch zahlreiche andere Möglichkeiten bei denen Blutegel Anwendung finden. Einige Naturheilkundler setzen Blutegel ein bei z.B. bei Diabetes mellitus, infektiösen und schlecht heilenden Wunden, Abszessen, Depressionen, Nagelbettentzündung, Ohrentzündung, Nasennebenhöhlenentzündungen, Depressionen, Grünem Star, Gichtanfall, Venenentzündungen und Hämorrhoiden.
Man sagt sogar, dass das Zusammenwirken der unterschiedlichen gerinnungs-hemmenden Substanzen der Blutegel beispielsweise Thrombosen restlos auflösen können und geschädigte Gefäßwände wieder elastisch werden sollen. Ablagerungen in den Gefäßen sollen aufgelöst werden, wodurch man gefährliche Krankheiten wie Schlaganfall, Herzinfarkt und Bluthochdruck deutlich reduzieren kann.
Die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit soll erhöht werden, der Alterungsprozess verlangsamt werden, das Immunsystem stabilisiert werden und die Blutbildung angeregt werden.
Die Behandlung wirkt über Wochen und Monate im Körper nach und es reicht meist aus, alle sechs Monate eine Folgebehandlung durchzuführen.
Behandlungsablauf
Den Behandlungstag sollte man schon etwas planen und an diesem Tag und auch am Folgetag große Anstrengungen vermeiden. Auch öffentliche Bäder, Sauna und andere Wärmebehandlungen sollte man ca. eine Woche meiden. Das ist allerdings abhängig von Lokalisation und Blutungsintensität. Salben und Öle werden erst wieder aufgetragen, wenn die Bissstellen völlig verheilt sind.
Verwenden Sie möglichst einen Tag vor der Behandlung keine Duftstoffe (Parfum, Seife, Kosmetika, Salben, Duschgel, Rasierwasser) im erweiterten Behandlungsbereich! Sie sollten möglichst nicht rauchen oder sich kurz vor der Behandlung nicht in verräucherten Räumen aufhalten. Essen Sie möglichst nicht zu viel Knoblauch oder andere stark gewürzte Speisen. Das alles mag der Egel nicht. Im ungünstigsten Fall beißt er dann nicht an.
Achten Sie auf entsprechend bequeme, warme und gut zu reinigende Kleidung am Behandlungstag. Bringen Sie sich warme Socken mit und wegen der Dauer evtl. etwas zu Lesen. Da aber der Raum möglichst nicht zu hell sein sollte, können Sie auch ein Hörbuch oder Musik mitnehmen.
Je nach Anwendungsort wird die Behandlung im Sitzen oder Liegen durchgeführt.
Man spürt einen leichten Brennschmerz beim Biss und in der Anfangszeit auch beim Saugen, der aber als durchaus erträglich beschrieben wird.
Die Saugzeit der Blutegel ist vorher schlecht zu kalkulieren und beträgt je nach Größe des Blutegels, seinem Hungerzustand und der Durchblutung der Saugstelle 15 bis 30 Minuten und kann aber auch bis zu 3 Stunden dauern. Die gesättigten Blutegel lassen meist von alleine los. Sie fallen dann einfach vom Patienten ab.
Bei der Terminvergabe sollte man den erhöhten Zeitaufwand mit einkalkulieren und sicherheitshalber 3 Stunden Zeit mitbringen. Bisher habe ich das aber noch nicht erlebt. Im Durchschnitt saugen einige der Tiere 1,5 Stunden, so dass man mit Vor- und Nachbreitung im Regelfall 2 Stunden benötigt. Ich denke, dass die schlechte Kalkulierbarkeit der Behandlungsdauer ein Grund dafür ist, warum diese schöne Therapieform in nur noch wenigen Praxen zu Einsatz kommt.
Generell ist das Nachbluten durchaus erwünscht und ist ein wesentlicher Bestandteil der Therapie. Es unterstützt die Reinigung der Wunde und erhöht die Wirkung der Behandlung. Beim Verband achtet man neben einer guten Saugfähigkeit darauf, dass nur wenig Druck ausgeübt wird, damit die Nachblutung nicht beeinträchtigt wird. Das durchschnittliche Nachbluten von 8-20 Stunden sollte eigentlich nicht gestoppt werden. Liegt allerdings die Nachblutungszeit bei 24 Stunden, sollte sie unbedingt mit einem Druckverband gestoppt werden.
Am Folgetag ist ein Verbandswechsel unbedingt notwendig. Das benötigte Material dazu gebe ich meinen Patienten mit. Bei Schwierigkeiten dabei, sollten Sie dazu in die Praxis kommen.
Bei auftretenden Komplikationen ist ebenfalls eine Wiedervorstellung erforderlich.
Risiken und Nebenwirkungen
Heftige Nebenwirkungen sind bei dieser Therapieform eher selten, und ich habe dies in meiner Praxistätigkeit bisher zum Glück noch nicht erlebt. Das Nachbluten, ein leichter Juckreiz in den Folgetagen, eine kleine Schwellung an der Bissstelle nebst einem Bluterguss gehören für mich dazu. Dies würde ich nicht als Nebenwirkung, sondern als Folge der Wirkung bezeichnen. Im Folgenden möchte ich aber meiner Sorgfallspflicht nachkommen und alle möglichen Nebenwirkungen benennen, die bisher beschrieben wurden.
Verlängertes Nachblutung mit einem Blutverlust pro Blutegel von ca. 5-100 ml. Dies kann zu Kreislaufreaktionen führen. Es soll allerdings nicht in direktem Zusammenhang mit dem Blutverlust stehen, sondern vielmehr scheint es eine Reaktion auf das Blutegelsekret zu sein. Der Patient sollte sich ausruhen und genügend Flüssigkeit zu sich nehmen.
Hämatom (Bluterguss) um die Bissstelle herum auf. Sie entstehen durch die oberflächliche Einblutung. Die Hämatome lösen sich innerhalb weniger Tage auf. Ebenso ist ein vorübergehender Gelenkerguss bei einer Gelenkbehandlung möglich.
Juckende Hautrötungen um die Bissstellen (Allergie-ähnlich), Pseudolymphom (gutartige und rückbildungsfähige Lymphknotenschwellung), Sensibilisierung gegenüber Blutegelinhaltsstoffen
Allergie
Es kann zu einer Sensibilisierung gegenüber Blutegelinhaltsstoffen kommen. Echte allergische Reaktionen sind selten. Wenn sie auftreten, beschränken sie sich meist auf lokale Erscheinungen. Systematische Reaktionen wie z.B. Fieber, das Gefühl krank zu sein, bis hin zum anaphylaktischen Schock sind möglich, treten aber extrem selten auf.
Infektion der Wunde mit anschließender Entzündung an der Bissstelle kann vermieden werden durch das ungestörte Nachbluten und eine gute Wundversorgung. Meist entsteht eine Infektion durch Keime, die wir auf der Haut tragen und die durch Kratzen oder mechanische Reizung (Reibung) der Kleidung in die noch nicht geschlossene Wunde gelangen können.
Infektionsgefahr mit Krankheitserregern
Durch die Anwendung von Blutegeln ist das Übertragen von Bakterien und Viren (z.B. HIV und Hepatitis) nicht völlig auszuschließen. Durch die kontrollierte Zucht- und Haltungsmethoden ist dieses Risiko jedoch auf ein Minimum reduziert und bisher wurde noch keine dieser Infektionen durch Blutegel nachgewiesen.
Bestimmte Grundregeln im Umgang mit den Tieren müssen beachtet werden. Dazu gehört neben der Beachtung der Hygienevorschriften auch leider das anschließende Abtöten der Egel. Auch das Nachblutung ist ein wichtiger Bestandteil der Therapie und dient auch der Wundreinigung. Deshalb sollte die Nachblutung im Regelfall nicht gestoppt werden
Wundheilungsstörung
In der Regel treten Wundheilungsstörungen nur dann auf, wenn Blutegel auf krankhaft veränderte oder schlecht durchblutete Hautpartien gesetzt werden.
Pigmentstörungen oder Vernarbungen an der Bissstelle. Die Bissstellen nach der Blutegeltherapie verheilen meist rasch und sind nach wenigen Tagen nicht mehr zu sehen. Manchmal, vor allem bei älteren Patienten mit Neigung zu verstärkter Narbenbildung (Keloid), können kleine Vernarbungen entstehen. Pigmentstörungen können ebenfalls auftreten und normalisieren sich in der Regel nach wenigen Wochen wieder.
Falls Nebenwirkungen auftreten sollten, werden ggf. Gegenmaßnahmen erforderlich (z.B. bei verlängertem Nachblutungen: Kompressionsverband, bei Infektion: Antibiotikum vom Arzt). Falls zu einem späteren Zeitpunkt Nebenwirkungen auftreten sollten, bitte ich um sofortige Rücksprache und gegebenenfalls Wiedervorstellung.
Kontraindikationen
Folgende Faktoren müssen vor einem Einsatz von Blutegeln unbedingt abgeklärt werden und führen dazu, dass dieses Verfahren nicht angewendet wird!
Ø Blutgerinnungsstörungen: z.B. durch Marcumar, Falithrom, oder bei Blutern (Hämophilie), verminderten Blutplättchen (Thrombozytopenie) u.a.,
Ø Akute Magen- oder Darmgeschwüren,
Ø Deutliche Blutarmut,
Ø Erhebliche Immunschwäche (AIDS, Chemotherapie…),
Ø Schwere chronische Erkrankungen (z.B. fortgeschrittene Krebserkrankungen, langjährige Dialyse, u.a.),
Ø Ausgeprägte Wundheilungsstörungen (z.B. bei schlecht eingestelltem Diabetes mellitus, erheblichem Übergewicht, u.a.),
Ø Bekannte Allergien gegen Blutegel-Inhaltsstoffe,
Ø Neigung zu überschießender Narbenbildung (Keloidbildung).
Kosten
Die Kosten der Behandlung richten sich nach der Anzahl der benötigten Blutegel (ca. 5 € pro Egel plus 10 € Versandgebühren) und dem Zeitaufwand, der nicht genau kalkulierbar ist. Sie betragen somit zwischen 120 und 160 €. Die Krankenkassen erkennen diese Behandlungsform derzeit noch nicht an und übernehmen somit auch keinerlei Kosten dafür. Wenn eine Behandlung nicht ausreicht, empfehle ich bei chronischen Erkrankungen eine Wiederholung alle 4-6 Monate.
Ich beziehe die Blutegel für die Therapie ausschließlich bei der Biebertaler Blutegelzucht GmbH. Hier gibt es zudem für Interessierte noch eine ganze Menge nützliche Infos, Bilder und Filme: www.blutegel.de
Fazit
Durch meine Erfahrungen bin ich inzwischen ein regelrechter Fan der Blutegeltherapie geworden und freue mich auch sehr über Patienten, die sich für die kleinen „Helfer“ begeistern können! Ein anfänglicher Ekel schwindet bei den Patienten schnell, wenn sie sich mit dem Nutzen dieser alten Therapieform etwas mehr beschäftigen und vor allem dies am eigenen Leib einmal erfahren durften. Gerade bei chronischen Erkrankungen, bei denen schulmedizinisch alles abgeklärt wurde, ist es oft ein Versuch wert.
3 Antworten zu “Blutegeltherapie”